Gastbeitrag

Vaginismus – das Leben mit der unsichtbaren Wand

Wieder mal versuchten mein Freund und ich Sex zu haben.

Dieses Mal war alles so gut vorbereitet: wir waren alleine zuhause, es war Wochenende und somit auch kein Stress in Sichtweite.Wir lagen beide entspannt im Bett, soweit es uns in dieser Situation möglich war, und gingen gedanklich alle nachfolgenden Schritte durch. Heute musste es einfach klappen.

Nach einem kurzen Vorspiel legte ich mich auf den Rücken und sah ihn erwartungsvoll an. Er war über mir und ich spürte seine Anspannung durch einen bloßen Blick in seine Augen. Wir atmeten beide tief durch und versuchten unsere Angst gekonnt zu überspielen. Wir sahen uns weiterhin tief in die Augen, sprachen zwar kein Wort miteinander, aber wir waren uns einig, dass wir es jetzt endlich probieren wollen.

Er positionierte seinen Penis vor meiner Vagina und versuchte langsam in mich einzudringen. Ich hielt den Atem an und mein Herzklopfen machte mich verrückt. Wenige Sekunden später erreichte er einen Punkt, wo ein Widerstand zu spüren war. Ich ermutigte ihn weiterzumachen. Zögerlich versuchte er mit leichtem Druck den Widerstand zu durchbrechen. Ich verspürte ein Stechen und biss meine Zähne scharf zusammen. Dieses Stechen wurde immer stärker, unerträglich und schmerzte einfach so sehr. Dieser Widerstand war wie eine unüberbrückbare Mauer. Es war genug! Ich hielt diese Schmerzen nicht länger aus, dieser Druck machte mich wahnsinnig. Er sah mir sofort an, wie sehr ich mich quälte und brach das ganze Dilemma schlussendlich ab. Er legte sich frustriert auf den Rücken neben mich hin und starrte auf die Zimmerdecke. Ich lag da, fühlte mich innerlich tot und spürte wie sich meine Augen mit Tränen füllten.

 

Wieder hatte es nicht geklappt – ich werde es niemals besiegen. Es ist einfach hoffnungslos.

 

Die oben beschriebene Situation war eine von vielen in meinem Leben. Heute bin ich 34 Jahre alt und ich litt insgesamt 15 Jahre an Vaginismus.

 

Kaum einer kennt Vaginismus, doch so viele Frauen leiden darunter. Was ist Vaginismus überhaupt?

 

Vaginismus ist das unwillkürliche Verkrampfen/Anspannen der Beckenbodenmuskulatur, welches ein Einführen/Eindringen in die Vagina schwierig bis unmöglich macht. Davon betroffen sein können das Verwenden eines Tampons, Einführen eines Spekulums und eines Ultraschallstabs, das Benützen von Sexspielzeug oder das Eindringen eines Fingers bzw. Penis. Vaginismus wird begleitet von großen Schmerzen und Scham. Man unterscheidet hierbei den primären Vaginismus, der sich bereits in der Pubertät bemerkbar macht und den sekundären Vaginismus, welcher im Laufe der Zeit durch ein bestimmtes Ereignis auftreten kann.

Die Ursachen können sehr vielfältig sein: konservative Erziehung, negative Denkweisen/Erfahrungen in Bezug auf Sexualität, Ängste, Traumatische Erlebnisse, Operationen, Geburt, u.v.m.
Doch auch die Ausprägungsformen und Symptome können variieren: Schmerzen, stechen, brennen, sich verschlossen fühlen,…

 

Oft muss man leider einen ÄrztInnen-Marathon bewältigen, um überhaupt die Diagnose Vaginismus zu erhalten bzw. dass einem geholfen werden kann.

 

„Man sollte jeden Tag Sex haben. Wenn das bei ihnen nicht funktioniert, dann üben sie halt mit Dildos.“„Entspannen sie sich doch einfach mal! Versuchen sie es mit einem Glas Wein, um lockerer zu werden. Nehmen sie doch einfach mehr Gleitgel!“

„Sie müssen mehr mit ihrem Partner kuscheln und mehr Vertrauen aufbauen, dann wird das schon.“

 

Meine Vaginismus-Reise war voller Angst, Schmerzen, Scham, Einsamkeit, Verzweiflung und Wut. Die Erfahrung von Ärzt/innen in Bezug auf Vaginismus war zu der damaligen Zeit gering bzw. nicht vorhanden und die oben genannten Empfehlungen bekam ich auf meinen Weg mit.

 

Erst durch jahrelange Sexualtherapie, Dilatorentraining, Beckenbodenübungen und schlussendlich dann das „darüber sprechen“ mit Freunden half mir den Vaginismus vor ca. 5 Jahren zu besiegen.

 

Bereits während meiner Vaginismus-Zeit und noch mehr danach verspürte ich den großen Wunsch mich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Ich fühlte mich oft alleine und hatte das Gefühl abnormal zu sein, ich dachte mit mir ist die natürlichste Sache auf der Welt, Sex, nicht möglich. Ich habe mich an meiner Sexualität gemessen und stellte daher fest, wertlos bzw. ungenügend in dieser Welt zu sein.

 

Nun möchte ich mit meinen 15 Jahren negativer Erfahrung etwas Positives schaffen und anderen Betroffenen Mut machen. Mein Weg war auch steinig und sehr hart, dennoch habe ich es geschafft. Für jede Vaginismus-Betroffene ist eine Heilung oder eine Linderung möglich.

 

Daher möchte ich meine Erfahrungen anderen Betroffene weitergeben um ihren Weg zu erleichtern.

Dieses Jahr im Juni gründete ich die Selbsthilfegruppe Invisible Wall für Vaginismus-Betroffene in Wien. Vaginismus fühlt sich bildhaft wie eine unsichtbare Wand („invisible wall“) an, die undurchdringbar scheint.

 

Im Oktober und Dezember 2019 fanden bereits die ersten beiden Selbsthilfegruppentreffen statt und es waren großartige Abende mit interessantem Erfahrungsaustausch.

 

Die Selbsthilfegruppe soll die Möglichkeit geben, in einem geschützten Umfeld über das Thema Vaginismus sich offen auszutauschen. Alles was in der Gruppe besprochen wird, ist absolut vertraulich.

 

Hier findet ihr den Link zum Folder zur Selbsthilfegruppe mit meinen Kontaktdaten.

 

Ihr könnt euch jederzeit bei mir melden, wenn ihr euch bezüglich Vaginismus angesprochen fühlt oder eventuell Ärzt/innen oder Therapeuten/Therapeutinnen kennt, denen das Thema auch am Herzen liegt. Es ist leider oft ein totgeschwiegenes Thema, das muss sich endlich ändern.

 

Viva La Vulva Gastautorin

Christina

Christina ist die Gründerin der 1. Selbsthilfegruppe für Vaginismus-Betroffene (“Invisible Wall”) in Österreich. Sie litt selbst 15 Jahre lang an primären Vaginismus und möchte nun mit ihren Erfahrungen anderen Betroffenen Mut machen.

 

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