Mehr böse Frauen* braucht die Welt

Sei ein liebes, braves Mädchen. Diesen Satz bekommen viele Frauen* schon als Kleinkind zu hören. Besonders Mädchen werden früh dazu angehalten höflich, angepasst, nett und leise zu sein. Liebenswürdigkeit wird belohnt und erwartet.



Quelle: duden.de


Das Wort liebenswürdig bedeutet “(im Umgang mit anderen) freundlich und zuvorkommend” zu sein. Es impliziert, dass wir lediglich durch angenehmes, aufmerksames und entgegenkommendes Verhalten, der Liebe anderer überhaupt würdig sind.

Aber ist das so? Müssen wir Frauen* erst durch freundliches und zuvorkommendes Verhalten beweisen, dass wir Liebe verdienen?



Von Frauen*, Hexen und Furien

In der allgemeinen Vorstellung sind Frauen* liebenswürdige Wesen. Sie kümmern sich nach wie vor überwiegend um Kindererziehung, Care-Arbeit, unbezahlte Hausarbeit und verdienen weniger Geld. Dass sie das tun, liegt in der Auffassung vieler, natürlich nicht am kaputten System, sondern in der “Natur der Frauen”. Denn Frauen* sind, so die Mär, von Natur aus emphatischer, geduldiger und opfern sich gerne für andere auf.




Brechen Frauen* mit diesem gesellschaftlichen Ideal werden sie zu Hexen, Furien oder Hysterikerinnen. Sie sind keine “richtigen Frauen” mehr und beinahe nicht mehr menschlich. Kalt, berechnend, ichbezogen, unsensibel, fordernd, wütend und böse: Das sind bei Frauen* scheinbar unannehmbare Charaktereigenschaften. Frauen* mit diesen unerwünschten Eigenschaften wurden in der Geschichte oft verfolgt, gefoltert und getötet.





Aber auch heute werden Frauen, die nicht liebenswürdig genug sind oft getadelt, schief angeschaut oder gar für verrückt erklärt. Es braucht, so scheint es, eine Erklärung, um die mangelnde Liebenswürdigkeit zu begründen und sie tolerierbar zu machen – sei es durch eine Hexenjagd oder die gute alte Küchenpsychologie: Mit unliebenswürdigen Frauen stimmt etwas nicht. Dass gewisse Eigenschaften, genau wie bei Männern, auch bei Frauen* einfach menschlich sind, ist nicht Grund genug.



Diktatur der Liebenswürdigkeit

Ich selbst habe lange unerreichbaren Idealen der Liebenswürdigkeit nachgeeifert: Lächeln, verständnisvoll sein, nett sein.

Der Liebe des Partners würdig sein. Der Liebe von Freund*innen würdig sein. Der Liebe der Familie würdig sein.

Doch liebenswert zu sein braucht viel Zeit und noch mehr Energie. Es ist ein Drahtseilakt ständig die volle Kontrolle über die eigenen Gefühle, Worte und Fassung zu bewahren. Gerade von Frauen* wird ein solches Verhalten erwartet. Es scheint, als gäbe es im Leben ein ungeschriebenes Drehbuch. Man spielt eine Rolle und sagt seinen Text. Alles, um in seinem Umfeld als besonders liebenswürdig wahrgenommen zu werden.



Vielleicht liegen meine negativen Gefühle der Liebenswürdigkeit gegenüber darin, dass ich nicht von Natur aus liebenswürdig bin. Dass ich vielleicht sogar unliebenswürdig bin. Möglich. Aber vielleicht ist Liebenswürdigkeit auch, wie Roxane Gay in Bad Feminist, schreibt nur “eine komplizierte Lüge, eine Selbstdarstellung, ein Verhalten, das einem diktatorischen Code des richtigen Benehmens folgt.”



Dieser diktatorische Code des Benehmens, lässt leider nur ein sehr eingeschränktes Spektrum an Facetten zu, die Frauen* öffentlich zeigen dürfen. Er ist Käfig aus bewussten und unbewussten Erwartungen an die Selbstdarstellung der Frau*.



Warum ist Liebenswürdigkeit ein Problem?

Ich habe schon vor einiger Zeit begonnen zu versuchen diese wahnsinnigen Ansprüche an Liebenswürdigkeit und an mich selbst zu verlernen. Das bedeutet weder, dass man ein Arschloch sein soll, noch ist dieser Beitrag ein Appell dafür, dass sich Frauen* “männlicher” verhalten sollen. Aber wir müssen uns von diesen zwanghaften Standards der Liebenswürdigkeit lösen. Allein schon, damit niemand mehr von einer Frau überrascht ist, die fordernd oder direkt ist.



Der Anspruch, ständig gut und liebenswürdig zu sein verhindert nämlich, dass Frauen* Rollen in der Gesellschaft einnehmen, die unbequeme Meinungen erfordern.



Zu hohe Ansprüche an Liebenswürdigkeit verhindern, dass Frauen* beruflich vorankommen. Und sie verhindern, dass Frauen* in Familien, Freundschaften und Partnerschaften ehrlich und offen kommunizieren, weil sie Angst davor haben nicht liebenswürdig genug zu sein.



Ich bin oft wütend. Manchmal bin ich gemein und ichbezogen. Ich will meine Meinung laut sagen, auch vor Leuten, die sie nicht hören wollen. Ich mache Fehler. Manchmal lerne ich nichts daraus und mache den gleichen Fehler wieder. Ich bin manchmal zu ehrlich. Und manchmal bin ich nicht ehrlich.

Fakt ist, dass ich heute gemeiner, lauter, fordernder und böser bin, als noch vor ein paar Jahren. Aber ich bin glücklicher denn je.



Wenn alles, was von Liebenswürdigkeit abweicht, für Frauen* automatisch schlecht, anormal oder sogar unmenschlich ist, werden Frauen* ihren Möglichkeiten und ihrem Potenzial beraubt. Es braucht noch viel mehr “böse” Frauen* um gesellschaftliche Veränderungen und feministische Visionen überhaupt möglich zu machen. Und vor allem braucht es mehr weibliche* Vorbilder, wenn es darum geht, auch mal nicht liebenswürdig und gut zu sein.





Cheers to bad women*!

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