#metoo in Österreich: Wo Opfer von sexualisierter Gewalt verklagt anstatt unterstützt werden

2006 verwendete Tarana Burke die Phrase „Me too”, um das Bewusstsein für sexualisierte Gewalt und Gewalt gegen Frauen* zu schärfen. Elf Jahre später ging der gleichnamige Hashtag #metoo viral. In Reaktion auf einen Tweet von Schauspielerin Alyssa Milano, haben sich weltweit Frauen* zu Wort gemeldet, die im Laufe ihres Lebens sexuell belästigt oder vergewaltigt wurden. Dass #metoo heute mehr als eine Phrase oder ein Hashtag ist, ist unbestreitbar. Es hat sich eine globale Bewegung gebildet, die Opfer von sexualisierter Gewalt weltweit ermutigt hat, ihre Geschichten öffentlich zu machen.

An Österreich ist #metoo zwar nicht spurlos vorübergegangen, aber anders als in anderen Ländern brachte #metoo hierzulande vergleichbar wenige mächtige Männer zu Fall. Das bedeutet nicht, dass es in Österreich nicht genug mächtige Männer oder keine sexuellen Belästigungen gibt. Im Gegenteil.

In Österreich läuft das nämlich so

Wenn es eine Frau* nun doch einmal wagt, sich öffentlich gegen Belästigung und sexualisierte Gewalt zu wehren, kann sie in Österreich scheinbar vor allem mit einem rechnen: mit einer Klage. Erst vor ein paar Wochen wurde die Grüne Politikerin Sigrid Maurer von einer solchen Anklage freigesprochen. Ein Wiener Bierwirt hatte ihr untergriffige, sexistische Nachrichten und Gewaltandrohungen geschickt. Als Maurer dies auf Twitter öffentlich machte, klagte der Bierwirt die Politikerin wegen übler Nachrede, womit er in erster Instanz sogar Erfolg hatte.

Quelle

Das ist entmutigend und erschreckend, aber leider kein Einzelfall. Vor ein paar Tagen wurde durch einen Artikel im Standard bekannt, dass ein Wiener Medienmanager eine Moderatorin klagt, nachdem sie Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen ihn vorgebracht hatte. Nachdem er sie zuvor schon bei einem Abendessen belästigt und bedrängt habe, habe er sie während eines Fotoshootings im Jahr 2019 begrapscht. Als die Moderatorin ihrer Vorgesetzen darüber berichtete, sah diese laut Standard darin ein “wirklich unnötiges Problem.” Wenige Stunden später erfuhr der Medienmanager von den Vorwürfen gegen ihn, woraufhin die Moderatorin sofort entlassen wurde.

Nun wehrt sich die Moderatorin zwar gegen ihre Entlassung, jedoch fordert der Medienmanager vor Gericht den Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit.

Dass der Medienmanager als Chef „emotional werden“ kann ist vor Gericht laut Standard unbestritten. Auch eine andere Moderatorin bezeugt im Verfahren, dass der Medienmanager auch ihr ungefragt an den Hintern gefasst habe. Sie ist jedoch der Meinung, dies sei „spaßhalber“ geschehen. Laut eigener Aussage könnte sie in der österreichischen Medienbranche nicht mehr arbeiten, wenn sie jeden Klaps auf den Po bewerten würde.

Als wäre die verharmlosende Aussage ihrer ehemaligen Kollegin nicht schon genug, fragt auch die vorsitzende Richterin Andrea Mayrhofer, laut Standard, während des Prozesses, warum die Moderatorin nicht einfach gekündigt habe, „man wisse doch, wie es im Unternehmen zugehe.“ Damit normalisiert und verharmlost die Richterin als rechtlich anerkannte Instanz sexuelle Übergriffe und Belästigung am Arbeitsplatz. Als die Moderatorin, laut Standard, auf ihren beruflichen Traum und die Möglichkeit verwies, auch ohne ihren Chef moderieren zu können, erwiderte die Richterin: “Ich glaube, Sie träumen von warmen Eislutschern.”

Ein Umgang mit mutmaßlichen Opfern, für den man sich nur schämen kann

Während #metoo und #believesurvivors in vielen Ländern zur Sensibilisierung der Gesellschaft oder sogar zu neuen Gesetzen beigetragen haben, scheint Österreich eine Insel der „Seligen Täter“ zu sein. Hierzulande wird mutmaßlichen Opfern von sexualisierter Gewalt und Belästigung nicht mit Respekt und Vertrauen begegnet, sondern mit Misstrauen, Kritik und Ungläubigkeit. Spricht man als Frau* in Österreich öffentlich über Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt, hagelt es Anzweifelungen, Verharmlosungen oder – wie in den beiden oben genannten Fällen – Klagen.

Was signalisieren solche Geschichten marginalisierten Gruppen, die von sexualisierter Gewalt und Belästigung betroffen sind? Wenn sogar berühmte Politikerinnen und Fernsehmoderatorinnen dafür abgestraft werden, sich öffentlich gegen Misogynie und Sexismus zu wehren? 

#BelieveSurvivors

Im Falle der Moderatorin bestreitet der Medienmanager die Anschuldigungen vehement. Das Verfahren läuft. Gerade deshalb, möchte ich gerne noch etwas zum Thema #believesurvivors sagen: 

#believesurvivors bedeutet nicht, dass Fakten nicht zählen. Es geht darum, den Frauen*, die mutmaßlich sexualisierte Gewalt und Belästigung erlebt haben, den „Benefit of the doubt“, also einen Vertrauensvorschuss zu geben. Anstatt dieses Vertrauen automatisch dem Täter zu geben oder diesen sogar zu verteidigen.

“‘Believe women’ or ‘believe survivors’ is not just like, ‘Believe us at all costs, don’t investigate,’ you know, ‘If I say it, it’s true.’ It is—let’s start with a premise that people aren’t lying and at least give them the respect of interrogating what they’re saying.”

Tarana Burke


Mit solchen Geschichten an die Öffentlichkeit zu treten, kann stressig, schmerzhaft und traumatisch sein. Nur wenn wir mutmaßlichen Opfern und ihren Geschichten Glauben schenken, können wir sie in schwierigen Zeiten unterstützen und dazu beitragen systemische und strukturelle Hindernisse abzubauen. Wenn Frauen* über ihre Erfahrung sprechen, sollten wir als aller erstes Versuchen, uns in ihre Lage zu versetzen.

Aber nicht nur der Solidarität sondern auch der Rationalität Willen sollte man mutmaßlichen Opfern von sexualisierter Gewalt glauben. Laut einer EU-Studie geben mehr als die Hälfte der Österreicherinnen an, in den letzten 5 Jahren belästigt worden zu sein. Die Dunkelziffer wird sogar noch höher geschätzt. Statistiken zeigen auch, dass im Vergleich zur Häufigkeit von sexualisierter Gewalt, falsche Anschuldigungen eher selten vorkommen. Während sich die Angst vor vermeintlichen Falschanschuldigungen augenscheinlich gut als Schreckgespenst instrumentalisieren lässt, ist sie vor allem unbegründet. Je nach Untersuchung variiert der Anteil der Falschbeschuldigungen bei Vergewaltigungen zwischen zwei und acht Prozent. Falschanschuldigungen sind damit so selten, dass es sich nicht rechtfertigen lässt, dass nahezu jede Frau*, die mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit geht, unter Generalverdacht einer Falschanschuldigung, eine Racheaktion oder gar Aufmerksamkeitsgeilheit zu stellen.

Dass nach vier Jahren #metoo in Österreich so mit Opfern von sexualisierter Gewalt und Belästigung umgegangen wird spricht Bände. Schluss mit der Verharmlosung und Normalisierung von sexualisierten Übergriffen. Nein zu Vertrauensvorschüssen für mutmaßliche Täter. Unterstützen und glauben wir den Frauen*, die trotz allem den Mut haben, ihre Geschichten zu teilen und gegen Misogynie und Sexismus aufzutreten.

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